Fünffingerlesturm

Unter den baugeschichtlich bedeutenden Denkmälern unserer Stadt nimmt auch der Fünfgratturm (im Volksmund auch Fünffingerles-Turm) eine hervorragende Stellung als Dokument mittelalterlicher Baukunst ein. Der heute freistehende Turm wurde 1454 erbaut und war ursprünglich Bestandteil der Befestigung der Jakobervorstadt. Seinen Namen erhielt der Fünfgratturm von der eigenwilligen Dachform, bestehend aus einem mittigen Zeltdach mit vier auf die Ecken gesetzten Scharwachttürmchen. Neben den Wehrtürmen und Bastionsanlagen der Stadt stellt er damit einen unverwechselbaren Eckpfeiler des historischen Stadtbereiches dar. Gleichzeitig ist er einer der Türme, die ehemals in großer Anzahl zwischen den Haupttürmen und Stadttoren aufgereiht waren und in der Mehrzahl dem Abbruch zum Opfer fielen.

Im Frühjahr 2005 wurde an die altaugsburggesellschaft von Seiten der Stadt Augsburg die Sorge um den Fünffingerlesturm herangetragen. Der Turm steht von außen betrachtet gut da, doch im Inneren, das damals als Fischfutterlager genutzt wurde, tummelten sich die Tauben. Die altaugsburggesellschaft stellte sich dieser Verantwortung und begann unter dem Motto „Taubenschlag“ mit der Arbeit.

Erste Sponsoren finanzierten ein Informationsblatt und eine Grundsäuberung vom Taubendreck, einen Holzboden und eine provisorische Stiege. Um den Turm aber dauerhaft zu sichern, zu warten und zu erhalten, sollte er zugänglich und in verantwortbarem Umfang auch für das Publikum erlebbar und nutzbar werden.

Deshalb wurde – wie es sich bei einem Baudenkmal dieser Bedeutung gehört, aber leider in Augsburg sehr selten gemacht wird – eine wissenschaftliche Bauuntersuchung in Auftrag gegeben und von unserer Gesellschaft bezahlt. Dr. Joachim Zeune, Büro für Burgenforschung, ermittelte Stein für Stein die Baugeschichte des Turms. Die Ergebnisse werden auf Schautafeln im Turminneren präsentiert.

(Foto Carl Jochner, 1860er Jahre)

Ein Ergebnis dieser Forschung war, dass der Turm im Inneren glücklicherweise noch seine alten Aufgänge hat, dass also keine neue Treppe gebaut werden muss. Allerdings beginnen diese Treppen logischerweise erst im zweiten Stock, denn der Fünffingerlesturm gehörte ursprünglich zum Stadtmauerring und war aus Verteidigungsgründen nur von der Stadtmauer aus zu betreten. Darum gibt es bis heute, trotz vieler Umbauten, im Inneren keine richtige Treppe vom Erdgeschoss in den Turm. 

Und das soll auch so bleiben. Darin sind sich alle Genehmigungsbehörden und die verantwortlichen Fachleute einig. Die Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt ebenso wie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege legen größten Wert darauf, dass an der originalen Bausubstanz des Turmes und seiner historischen Struktur nichts geändert wird. Ein vergrößerter Durchbruch durch das Gewölbe im vermauerten Durchfahrtsraum des Turmes zum Einbau einer Treppe ist somit grundsätzlich ausgeschlossen und wäre auch verantwortungslos.

Die Lösung des Problems wies das Gutachten von Dr. Zeune. Die alte Treppenanlage bestand ja noch. Es müsste nur von außen ein vermauerter alter Zugang zur Stadtmauer wieder geöffnet und damit der Turm von außen erschlossen werden. Die Idee einer Außentreppe war geboren. Eine minimale Infrastruktur (Stromkasten, Wasseranschluss sowie vielleicht eine Toilette) sollte nicht im Turminneren untergebracht werden, um den Turm möglichst in seinem Originalzustand zu bewahren. Auch diese Zutaten konnten im Sockel der Außentreppe versteckt werden. Zum dritten ermöglicht eine Außentreppe, die ehemalige Stadtmauer zumindest auf zwei Meter Länge in ihren Umrissen wieder ins Gedächtnis zu rufen, auf deren alter Mauerhöhe der mittelalterliche Zugang wieder in den Turm und die originalen Treppen in den Dachstuhl führen.

Die neue Außentreppe bekam ein erkennbar neues Gesicht, aus zeitgemäßen Materialien, einen schlanken Betonsockel und ein darüber liegendes Stahlgeländer. Mit der neuen Außentreppe kann dem Turm die dringend nötige Pflege und Aufmerksamkeit gewährt werden, die er zum Überleben braucht. Getreu der Satzung der altaugsburggesellschaft, der Gesellschaft zur Erhaltung Augsburger Kulturdenkmale. 

Der Fünffingerlesturm braucht unsere Verantwortung,

  • weil der Turm innen geschützt werden muss, vor Fäulnis, vor Tauben und vor der Witterung,
  • weil die Fenster und Luken einen Taubenschutz brauchen, der regelmäßig gewartet werden muss,
  • weil es unverantwortlich ist, sich am Äußeren zu erfreuen, während das Innere vergammelt.

Der Fünffingerlesturm braucht eine Außentreppe,

  • weil der Turm ein Wehrturm ist, der im Innern erst ab dem zweiten Stock Treppen hat,
  • weil der Turm nur von außen über einen heute vermauerten Zugang erschlossen werden kann,
  • weil damit der Turm in seiner alten Funktion wieder erlebbar wird.

Die altaugsburggesellschaft übernimmt die Verantwortung für den Fünffingerlesturm mit der neuen Außentreppe, in zeitgemäßen Formen für zeitgemäßes Handeln.

Aktueller Zustand im Turminneren

Rettungsaktion für die Wandmalerei im Fünffingerlesturm im Juni 2011 

Wieder einmal erwies sich die altaugsburggesellschaft als Retter in letzter Sekunde – für den Erhalt der originalen Bausubstanz des Fünffingerlesturm. Der Diplom-Restaurator Markus Binapfl festigte im Juni 2011 auf Initiative der altaugsburggesellschaft hin das Wandbild. Ohne rettende Maßnahmen würde die Wandmalerei schon bald unwiderruflich zerstört. 

Die Malerei wurde „al secco“ mit schmalem Pinsel auf den sehr glatten Feinputz aufgetragen. Es wurde ein rotes Pigment in wahrscheinlich wässriger Lösung verwendet. Unter der Malschicht ist eine feine Vorritzung erkennbar. Das Wandbild zeigt die perspektivische Ansicht einer Kirche mit basilikalem Querschnitt und Zweiturmfassade.

Mit Fragezeichen dürfte hier die Ansicht einer gotischen Basilika als stilisierte Abbildung des Augsburger Domes angedeutet sein, der in vergleichbaren, frühen Ansichten auf die Bauelemente der „Zwillingstürme“ und des „basilikalen Langhauses“ reduziert erscheint. Ein Vergleich mit alten Stadtansichten dieser Zeit legt eine Datierung des Wandbildes in das überlieferte Baujahr des Fünffingerlesturmes 1454 nahe. Vergleichbare Wandbilder der Zeit sind in Augsburg bislang nicht bekannt.