„TAG DES OFFENEN DENKMALS“
Der Augsburger Fünffingerlesturm – ein selten gewordener Vertreter eines seinerzeit beliebten Archetyps historischer Turm-Architektur
Wer sich die Zeit nimmt im Augsburger Maximilianmuseum das älteste (1563) erhaltene Ganzstadtmodell einer damaligen europäischen „Metropole der Neuzeit“ zu betrachten, wird im Gürtel der sehr detailliert dargestellten Mauern und Toranlagen auf einige Türme aufmerksam, die über ihrem mehrstöckigen Unterbau in einem kronenartigen Dachgeschoss enden. Am deutlichsten erkennt man diese Architektur im Hl. Kreuz-Tor, das dem ältesten Mauergürtel entwachsend einen der Eintritte in die Dom-Stadt markierte. Architektonisches Design entwickelte sich in dieser Zeit unmittelbar durch den Erfahrungsaustausch der Reisenden und die Empfehlung der fahrenden Bauzünfte.
Augsburg war im Bund der Süddeutschen Städte mit einer besonders erfolgreichen Kaufmannschaft ausgestattet, die sich seit 1156 schrittweise gegenüber dem Bischof mit dem kaiserlichen Stadtrecht 1251 emanzipiert hatte, und folgte 1430 sogar dem persönlichen Rat des Kaisers Sigismund, einen ausschließlich der ästhetischen Erbauung dienenden Turm auf dem Lueginsland mit einem prächtigen Blick über die in Reiserichtung Italien liegende Alpenkette zu errichten. Ein Zeitpunkt, zu dem sich mit dem Aufkommen des Schießpulvers im hundertjährigen Krieg die wachsende Bedeutung der wehrhaften Bauwerke des Gemeinwesens bereits deutlich abzeichnete.
Nun kann im eingangs beschriebenen Stadtmodell von 1563 in der Achse eines der schmucken Mauertürmchen, unserem heute als Fünffingerlesturm bezeichneten Bauwerk, ein massiges Gebäude entdeckt werden, das in den Stadtkarten dieser Zeit die Bezeichnung Kohlenlager trägt. Kohle ist u.a. ein wesentlicher Bestandteil zur Herstellung von Schießpulver. Die angrenzende Straße trägt auch tatsächlich die Bezeichnung Pulvergässchen und ist im westlichen Abschnitt bis heute unter dieser Bezeichnung erhalten. Betritt man den Turm, wird sehr schnell deutlich, dass sich die Funktion und der Innere Ausbau des kompakten Bauwerks im Zuge der Zeit mehrfach geändert haben. Ist der auf 1454 datierte Errichtungszeitpunkt leider noch nicht eindeutig belegbar, so irritiert noch mehr, dass die anfängliche Funktion als Tor bist heute nicht erschöpfend erklärt werden kann. Nach längerem Zerren um die bestmögliche Erschließung des seit 1920 komplett freistehenden Turmes wird die altaugsburggesellschaft es heuer ermöglichen, ein Stück Augsburger Stadtgeschichte und typischer europäischer Architektur des frühen 15. Jahrhundert wieder zu besichtigen.
Text: Sebastian Berz