Hausmadonnen und Hausheilige in Augsburg

Sie gehören selbstverständlich zum Bild unserer Stadt, aber wir nehmen sie nicht mehr wahr: die Hausheiligen an den Fassaden unserer Altstadthäuser. 

Selbst eingefleischte Kenner der Augsburger Kunstgeschichte geraten beim Aufzählen barocker Hausmadonnen im Stadtbild schon nach wenigen Exemplaren ins Stocken. Dabei brachte das mehrjährige Projekt der altaugsburggesellschaft eine Gesamtzahl von 237 Hausheiligen allein auf dem Gebiet innerhalb der alten Stadtummauerung zutage – aufgeteilt in 144 Objekte, die an ihren Originalplätzen verblieben sind, 69 fotografisch belegte Kriegsverluste und schließlich 24 Hausheilige im Museum und Privatbesitz, deren ehemalige Standorte nicht mehr existieren, aber dokumentiert sind. 

Die Ergebnisse dieses ehrenamtlichen Forschungsprojektes liegen nun seit dem Frühjahr 2013 als kompakte und informative Buchpublikation vor. Wir danken der Lang’nerschen Stiftung und der Ernst von Siemens Kunststiftung für ihre großzügige Unterstützung. Erstmals wird damit dieses weitreichende und vielfältige Thema der Augsburger Stadtgeschichte aufgearbeitet und präsentiert. Die altaugsburggesellschaft dokumentiert darin den mehr als zweihundert Figuren umfassenden erhaltenen und – soweit möglich – auch den verlorenen Bestand in Wort und Bild. Der nach Straßen geordnete Katalog ist weit mehr als ein praktischer Führer. Ihm vorgestellt sind übergreifende thematische Einführungen zu den Madonnentypen, zu den herausragenden Bildhauern der Barockzeit und zur vergangenen Blüte der Augsburger Fassadenmalerei. Entlang der Hausfassaden und ihren zahlreichen Nischenheiligen wird die Geschichte einer konfessionell geprägten Stadtgesellschaft zwischen Bildersturm und Industrialisierung neu erzählt. 

Hausmadonnen in Augsburg
Ulrich Heiß, Stefanie Müller
herausgegeben von der altaugsburggesellschaft
160 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 17 x 24 cm
16,90 Euro
ISBN 978-3-422-07183-4
Erhältlich bei der altaugsburggesellschaft oder im Buchhandel

Der Blick auf den künstlerisch und stadthistorisch hochinteressanten Reigen der Hausheiligen erweitert unsere Vorstellungen vom konfessionellen Zusammenleben innerhalb der paritätischen Stadt, er führt eine wichtige Erwerbsquelle für Bildhauer aller Qualitätsstufen vor und dokumentiert die Repräsentation der Hausbesitzer zwischen Reformation, Barock und Industriezeitalter.

Hausheilige sind in vielen Kulturen Kennzeichen privater Wohnhäuser. Auswahl, Größe oder materieller Wert der Heiligenfiguren signalisierten den Glauben, aber auch den sozialen Status der Hauseigentümer. Religiöser Hintergrund ist der Gedanke, das eigene Haus unter den Schutz eines bestimmten Heiligen zu stellen und diese Auswahl auch öffentlich zu machen. Hausheilige gehörten zur Privatsphäre des Hauses. In Augsburg wurden in den meisten Fällen Marienbilder und Marienfiguren gewählt. Über 200 erhaltene und nachweisbare Hausheilige im Gebiet der Augsburger Altstadt erzählen von mittelalterlicher Frömmigkeit, reformatorischem Bildersturm, barocken Wallfahrtsbegeisterung und neuen Rollenbildern auch unter den Heiligen im Industriezeitalter.

Hausheilige stehen über Jahrhunderte im Freien. Nur notdürftig sind sie vor Wetter, Vögeln und anderen Unbilden geschützt. Besonders gefährdet sind die Standpartien der Figuren, aber auch vorkragende Körperteile und nicht zuletzt die Jesuskinder. Spätere Generationen sparten oft an der nötigen Pflege. Reparaturen erfolgten vielfach ohne großen Sachverstand. Gerade aber solche Hausmadonnen mit Altersspuren sind besonders wertvolle Geschichtszeugnisse.

Die heute erhaltenen Augsburger Hausheiligen sind daher von höchst unterschiedlicher Qualität, doch ist der gesamte Bestand schützens- und erhaltenswert. Manchmal wurden die barocken Originale aus den Nischen entfernt. Hier ließ die altaugsburggesellschaft bildhauerisch exakte Kopien aufstellen, z. B. in der Kohler- und in der Kirchgasse. Oft brauchen die Skulpturen dringend restauratorische Pflege. Die Restaurierungsmaßnahmen waren die Initialzündung für das Hausmadonnenprojekt der altaugsburggesellschaft, das als ein mehrjähriges, ehrenamtliches Forschungsvorhaben den aktuellen und historischen Bestand der Hausheiligen in der Augsburger Altstadt erfasst. Ziel war eine lückenlose Fotodokumentation und deren Ergänzung durch die Fotobestände des Stadtarchivs und der Kunstsammlungen Augsburg sowie der Aktenbestände der Denkmalpflege. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen der altaugsburggesellschaft kontaktierten zudem alle Hausbesitzer. Standardisierte Fragebögen lieferten Informationen zum Haus, zu den Bewohnern und natürlich zur jeweiligen Hausmadonna. Fragen nach der Originalität, dem Zustand der Figuren, nach historischen Fotos und persönlichen Erinnerungen vervollständigten das Bild.